Ilsa Herrmann

Hier kann die Ilsa Herrmann Gruppe ihr Kapitel schreiben.

Über sie möchte ich heute berichten. Auch wenn es vielleicht nach außen hin nicht so scheint, ist sie eine der wichtigsten Personen in meinem Leben. Obwohl sie mich bei dem Bücherdiebstahl eines verbotenen Buches gesehen hat und als Frau des Bürgermeisters dies hätte melden müssen, hat sie nichts gesagt. Im Gegenteil - als ich einmal vorbeikam um die Wäsche abzuholen öffnete sie die Tür mit einem Stapel Bücher in der Hand und bot mich, hineinzukommen. Die Angst, sie wollte mir etwas Böses antun, verflog, als sie mich in einen der schönsten Orte dieser Welt führte - ihre Bibliothek. Der ganze Raum war voller Bücher. Man konnte kaum die Farbe der Wand erkennen. Gleich am ersten Tag erhaschte ich einen kurzen Blick in das Innere dieser einsamen Frau. In einem Buch stand der Name eines Jungen und ich fragte sie, wer das sei. Es war ihr Sohn. Er starb einen Heldentod für den Führer. Sie durfte nicht trauern. Aber das sagte sie natürlich nicht.
Und so kam ich regelmäßig zu ihr und las. Bis wir uns stritten, da sie die Arbeit meiner Mutter, ihre Wäsche zu waschen, nicht mehr in Anspruch nehmen wollte. Also beschloss ich erstmal, sie nicht mehr zu sehen. Ich weiß nicht, ob das in dieser Zeit eher eine Bestrafung für mich oder für sie war. Einerseits musste ich auf das Lesen verzichten, andererseits, und das erkannte man, erfreute sie sich an meinen Besuchen. Vielleicht erkannte sie sich in mir wieder. Ich weiß es nicht, aber ich kann es mir gut vorstellen. Eine Frau, die so unglaublich viele Bücher hat, muss schon immer gerne gelesen haben. Und diese Eigenschaft erkennt sie auch in mir.
Die Zeit ohne die Besuche der Bibliothek konnte ich nicht lange aushalten. So geschah es, dass ich anfing durch das immer offen stehende Fenster der Bibliothek zu klettern und Bücher zu stehlen. Mehrere Male hatte es funktioniert, aber dann stand Frau Hermann eines Tages in der Bibliothek und erwischte mich. Sie war freundlich, doch ich schämte mich und beschloss erneut, nie wieder zu kommen. Doch wieder versagte ich und fuhr zu dem Haus von Ilsa Hermann. Hinter dem Fenster stand ein Buch: Der Duden. Als ich es stahl erkannte ich, dass es sowohl in der Art des Buches, als auch in der Art des Stehlens etwas Besonderes war. Das Buch wurde sicherlich von Frau Hermann dort für mich „ausgestellt“.
Einige Wochen nach Weihnachten stahl ich erneut ein Buch aus der Bibliothek. Auf dem Tisch standen Plätzchen. Es war deutlich, dass sie für mich gebacken worden waren.
All diese Geschichten mit ihr kann man denke ich zusammenfassen: Ilsa Hermann und ich, Liesel Meminger, haben beide ein Verlangen nach Worten, das uns vereint. Auch wenn wir nicht darüber reden, wir verstehen uns. Und Frau Hermann hat mir oft genug gezeigt, dass die Bücher und ich ihr mehr wert sind, als ihr Mann und der Nationalsozialismus.
Doch das, was Ilsa Hermann’s Charakter am besten beschreibt ist, das besondere Geschenk in einer besonderen Lage. Ich schrieb ihr einen Brief, indem stand, dass ich mit Worten nie mehr etwas zu tun haben wollte. Sie hatten mich verletzt und belogen. Und anstatt mich zurechtzuweisen oder mir zuzustimmen, gab sie mir ein leeres Buch. Und darauf standen nur die ungeschriebenen Wörter: „Liesel, ich sehe dein Talent, gib die Worte niemals auf. Das wünsche ich mir. -Deine Ilsa“. Ich glaube, das sagt alles, über diese Frau.


Magdalena L.

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